Seit dreissig Jahren hat die Schweiz kaum Geld in ihre Energieinfrastruktur investiert. Und nun, da unter anderem viel weniger Gas von Russland nach Europa strömt, drohen im Winter massive Versorgungsprobleme. In dieser Situation dürften wir keine Technologie ausblenden, fordert Joël Mesot, Präsident der ETH Zürich. «Die Schweiz muss Rahmenbedingungen setzen, die Fortschritte ermöglichen.»
Damit haben er und Nationalrat Roger Nordmann eine Differenz, und zwar eine gewaltige. Denn der SP-Fraktionspräsident warnt davor, in Kernkraftwerke zu investieren. Sie seien nicht nur unzuverlässig, wie im letzten Winter die Ausfälle in Frankreich zeigten. Sie könnten in den nächsten Jahren auch nicht dazu beitragen, den drohenden Strommangel abzuwenden. In diesem einen Punkt sind sich Mesot und Nordmann sogar einig: Es würde Jahrzehnte dauern, bis ein Kernkraftwerk gebaut wäre.
Die SATW konnte an ihrem Jahreskongress gleich zwei Podien mit einflussreichen Persönlichkeiten besetzen und entsprechend angeregt, zuweilen auch kontrovers, fielen die Diskussionen aus. Die SATW hat angesichts der aktuellen Herausforderungen die Versorgungssicherheit und die technische Souveränität zu ihrem Jahresthema gemacht und stellt es auch am Kongress und an den beiden Podiumsdiskussionen ins Zentrum – die eine fokussierte auf das Thema Energie, die andere auf Daten und Künstliche Intelligenz (KI).
«Die Versorgungssicherheit verdient eine Strategie, sie darf nicht Wunschdenken bleiben», fordert SATW-Präsident Benoît Dubuis. Er sagte es vor vollem Saal - der Jahreskongress bei Google Schweiz in Zürich war mit 280 Gästen ausgebucht.
Niemand sitzt am Verhandlungstisch
Dass sich die Schweiz auch in den kommenden Wintern um die Energieversorgung sorgen muss, liegt aber nicht nur an den fehlenden Investitionen, wie Joël Mesot anmerkt, der ETH-Präsident. Die Schweiz hat kein Stromabkommen und auch kein Rahmenabkommen mit der EU. Und der Verhandlungstisch ist leer.
Keine einfache Ausgangssituation. Die Schweizer Stromversorgung ist durch 41 Leitungen mit den Nachbarländern verbunden, das stärkt die Versorgungssicherheit in der Schweiz und Europa sagt Swissgrid CEO, Yves Zumwald.
Dass es möglich ist, die Energieversorgung zu sichern und eigenständig zu bleiben, zeigen die SBB, wie es ihr CEO Vincent Ducrot schildert. «Ohne Strom fahren wir nicht weit.» Deshalb vertrauten die Bundesbahnen nicht darauf, dass immer Strom verfügbar ist, sondern bauten eigene Wasserkraftwerke. Heute produzieren sie 90 Prozent der Energie selbst, die sie brauchen.
Und was kann die Schweiz in der aktuellen Situation tun? Kurzfristig hilft vor allem eines: Strom sparen. «Das ist der wirksamste Hebel», sagt Antje Kanngiesser, CEO der Stromproduzentin Alpiq. Das Sparpotenzial sei riesig. Nur seien die technischen Innovationen bislang zu wenig genutzt worden – weil der Strom zu billig war.
Auch längerfristig sollen technische Innovationen helfen, die Energieversorgung sicherer und nachhaltiger zu gestalten. Laut Joël Mesot experimentieren Forscher:innen an den technischen Hochschulen etwa daran, wie grüner Wasserstoff hergestellt werden kann. Auch Wind und Sonne sollen zur Energiesicherheit beitragen. Aber dafür, so viel Einigkeit herrschte auf dem Podium dann doch, muss die Bevölkerung damit einverstanden sein, dass sich ein Natur- und Landschaftsbild verändert.
KI: Eine Riesenchance für ein kleines Land
Die Versäumnisse sind auf dem zweiten Podium rasch identifiziert und erst noch ohne jede Gegenrede: Gerade bei der Künstlichen Intelligenz ist die Schweiz nicht so weit, wie sie könnte - und sollte. «Wir betreiben zwar Spitzentechnologien, sind aber nicht in der Lage, die Erkenntnisse umzusetzen und diese Technologien selbst zu produzieren», kritisiert Judith Bellaiche, GLP-Nationalrätin und Geschäftsführerin des Wirtschaftsverbands der digitalen Schweiz (SWICO). Zum Beispiel Chat GPT: «Diese Technologie hätte in der Schweiz entwickelt werden können. Wir hätten die Fähigkeiten dafür gehabt.»
Die Schweiz, ergänzt Swisscom-CEO Christoph Aeschlimann, habe es bislang verpasst, globale Firmen im Bereich der Zukunftstechnologien zu schaffen. Es gäbe Schweizer Banken und Pharmafirmen, die zu den Weltmarktführern zählen, aber keine in der IT-, Energie- oder Halbleiterindustrie.
Um diese Versäumnisse dreht sich die Podiumsdiskussion zum Thema «Wie technisch souverän muss die Schweiz bei der KI sein?» von Beginn weg. «Wir sind auf qualitativ gute Daten angewiesen», hatte SATW-Generalsekretärin Esther Koller einleitend gesagt. Es brauche sie, um die KI zu trainieren und für ein gewisses Mass an technischer Souveränität. «Wir als SATW engagieren uns deshalb dafür, dass wir Zugang zu hochwertigen Daten haben.»
Einen anderen Punkt hatte SVP-Bundesrat Guy Parmelin in seiner Grussbotschaft zwischen den beiden Podien aufgegriffen: Auch die Gesellschaft muss von den neuen Technologien überzeugt werden. Das gelinge aber nur, wenn nicht nur deren Chancen, sondern auch deren Risiken erkannt und gute Lösungen entwickelt würden. Handlungsbedarf zeigt sich dabei gerade bei der Künstlichen Intelligenz, wie Gastgeber Anton Aschwanden sagt, Head Government Affairs von Google Schweiz. KI sei zu wichtig, um sie nicht zu regulieren. Sie dürfe aber auch nicht so stark reguliert werden, dass die Gesellschaft nicht mehr von nutzbringenden Anwendungen profitiere.
Die Schweiz ist nicht vorne dabei
«Eigentlich sollte die Schweiz eine solche Schlüsseltechnologie beherrschen», sagt Christoph Aeschlimann derweil auf dem Podium. Aber obwohl es eile, sei sie noch nicht so weit: Wie er sagt, ist in der KI ein Vorsprung von zwei Monaten gleichbedeutend wie ein Vorsprung von hundert Jahren bei früheren Technologien. Ist man nicht vorne mit dabei, entsteht ein struktureller Nachteil, der sich nicht mehr kompensieren lässt.
Was aber kann die Schweiz tun, um an die Spitze vorzudringen, fragte Moderator Reto Brennwald. Für Aeschlimann ist klar: Es braucht mehr Venture Capital. Bis 2030 muss es von heute 10 auf 50 Milliarden Franken wachsen. Diese Gelder bilden eine Brücke von Forschung und Entwicklung zur Kommerzialisierung. Und: «Wer mehr Kapital hat, kann schneller skalieren.»
Andere Gesprächsteilnehmer setzen die Prioritäten anders. «Nur mehr Geld bringt es nicht, wir brauchen auch Talente», sagt etwa Alexander Ilic, Direktor des ETH AI Centers. Und zwar auch Talente aus dem Ausland. «Mit einer Fertilitätsrate von 1.5 Prozent schaffen wir das nicht allein», meint Nationalrätin Bellaiche.
Wo also ansetzen? Die Schweiz soll ihre Stärken gezielter ausspielen, rät der grüne Nationalrat Gerhard Andrey, etwa mit ihrer hohen KI-Dichte an den Hochschulen, der sehr intakten Cybersecurityszene und ihrer anerkannten Diplomatie. Nach Ansicht von Andrey ist zum Beispiel KI-Gouvernanz für die Schweiz eine Riesenchance: «Damit kann kann sie ihre Ressourcen dort einbringen, wo sie einen Unterschied macht.»